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unbekannt - If you can see the light coming out of the other ear, you're an Ultra runner

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2022 - Rosellener Abendlauf - 10km

Geschrieben Mai 2022


Lange Läufe sind wie die Liebe. Kurze Rennen sind wie Sex. (Distance ist love, speed is sex).
Nach den langen und ruhigen Läufen dieses Jahr, hatte ich das dringende Bedürfnis, mich mal wieder so richtig auszutoben. Ich wollte rennen! Rennen ohne Sinn und Verstand, einfach wie verrückt laufen, brennen. Wieder diesen fanatischen Ehrgeiz spüren. Ich wollte pulsierende Stirn-Adern, fingerdick um meinen knallroten Kopf. Ich wollt nicht mit einem Lächeln ankommen, sondern hinter der Ziellinie röchelnd zu Boden gehen und mich vor Erschöpfung und Schmerz winden.

Vor ein paar Jahren hatte ich mal sie Spinnerei, die 5km unbedingt unter 20 Minuten zu laufen. Hat nach unzähligen, teilweise sehr frustrierenden Versuchen und ganz ganz viel Trainingsschweiß und Vorbereitung auch geklappt. Aber mir ist völlig klar: wenn ich meinen Plan, mich so richtig ab zu schießen, auf einer 5km-Strecke mache, werde ich am Ende immer auch denken, dass ich ja damals schneller war. Das zieht runter. Also suche ich mir für diesen Kick einen 10.000m-Lauf. Die letzten Male, wo ich das gemacht habe, ist ewig lange her, hat mega Spaß gemacht und ich war viel langsamer, als ich jetzt bin.

Das Dorf Rosellen liegt bei Neuss, ein paar Kilometer nördlich von mir. Und es liegt gleich neben Straberg, wo ich auch schon ein paar mal 10er gemacht habe. Mein Kamerad Tobi begleitet mich. Er ist fit und jung und in vielen Punkten genauso bekloppt wie ich. Er ist noch nie bei einem Volkslauf gestartet, von Marathon ganz zu schweigen und er will heuer den 5er machen.

Wir fahren zusammen nach Rosellen, finden einen Parkplatz und kommen früh im Stadion an. Der Rosellener Abendlauf beinhaltet viele Läufe für Kinder und Jugendliche, und es ist viel Betrieb. Eltern, Kinder, Zuschauer, Musik: alles da. Das Wetter ist perfekt und meine Laune auch. Genau so habe ich mir das hier gewünscht. Das ganze Gefühl passt schon perfekt. Wir holen unsere Startunterlagen und schauen uns ein bisschen um, liegen auf der Wiese am Rand, applaudieren den kleinen Sportlerinnen und Sportlern und genießen die kurze Zeit, bis zu Tobis Start. Er hat die neuesten Gadgets, zu Beispiel eine Smart-Watch. Damit kann ich während des Rennens auf meinem Handy genau seine Position verfolgen.

Er läuft los und ich gehe zurück ins Stadion und warte auf ihn. Hier in Rosellen wird ein beeindruckendes Niveau gelaufen. Das sieht man auch daran, dass das Zeitlimit für die 5km bei 40Minuten liegt und die 10km auch nach 1:15 gelaufen sein müssen. Und schon kommt der Sieger, mit riesen Vorsprung auf den Zweiten, ins Stadion. Hammer!
Ich applaudiere und warte. Wo bleibt Tobi? Da er zwar jung und gesund und Feuerwehrmann ist und auch seit Jahren mit dem Fahrrad bei einem Lieferservice arbeitet, ist klar, dass er die 5km vermutlich laufen kann. Aber wie schnell? Wird er es, ohne jemals im Leben einen Trainingslauf gemacht zu haben, in unter 40 Minuten schaffen? Geht das überhaupt? Ich habe ein bisschen schlechtes Gewissen, weil ich ihn zu diesem Ereignis überredet habe. Was, wenn er unterwegs doch in den Wandertag muss? Ich will auf jeden Fall meine 10km machen, aber was ist, wenn er dann nicht von seinen 5km wieder da ist?


Ankommen - Atmosphäre genießen - Tobi

Der kleine Punkt auf meinem Display, der Tobi darstellt, bewegt sich aber zuverlässig und gleichmäßig weiter. Und dann kommt er auch endlich im Stadion an! Geil! Nie trainiert und trotzdem ein tolles Rennen gelaufen: Respekt! Nicht vernünftig und nicht nach Lehrbuch der Leichtathletik: aber GEIL!

Kaum ist er zu Atem gekommen, mache ich Stress: jetzt will ich zu meinem Lauf! Wir gehen hin, finden den Start-Bereich außerhalb der Sportanlage und ich stelle mich auf. Der Weg ist relativ schmal: hier ist es wichtig, an der richtigen Position zu starten. Zu weit vorne besteht das Risiko, dass ich Schnelleren im Weg stehe oder, was noch schlechter wäre, dass ich mich von viel besseren Läufern zu zu hohem Anfangs-Tempo verführen lasse. Zu weit hinten im Feld ist aber auch nicht gut, denn dann komme ich nicht voran und verliere Kraft und Zeit beim Überholen. Also frage ich die Umstehenden, nach den persönlichen Zielzeiten, bis ich mich gut einsortiert fühle.

Mein ganz festes Ziel für heute ist, unter 50 Minuten zu bleiben. Da bin ich ziemlich sicher, dass ich das kann. Wenn nicht, weiß ich jetzt schon, was ich für ein Drama veranstalten werde. Ich kann dann sehr bescheuert werden (Sorry an alle, die mich ertragen müssen). Mit einer 48.xx bin ich zufrieden: das ist ehrgeizig aber noch realistisch. Mein Traum ist 47:xx. Die habe ich im Training zwar noch nie gelaufen, aber hier und heute könnte es gehen.

Der Typ vor mir will auch 47:xx und sieht aus, als hätte er schon viel Erfahrung. Er erinnert mich an Bernhard Sesterheim und meinen ersten Ultra 2003: ein sympathischer, harter Typ, an dem ich mich orientieren werde.

Eine Frau am Start schreit etwas anspornendes, dann gibt es einen Knall: LOS!!

Ich schieße mich dem Schritt der anderen um mich rum an, es gibt kein Gedränge, der Start funktioniert reibungslos.

Wir laufen. Ich laufe. Raus in die warme Abendsonne. Ich laufe etwas schneller als bei schnellen Trainingsläufen. Tempo. Druck. Der 47:xx Typ ist mir zu langsam. Ein paar 100m bleibe ich hinter einer Frau, die mir am Start als außerordentlich attraktiv aufgefallen ist. Aber jetzt und hier ist die Strecke, nicht die Start-Aufstellung. Und auf der Strecke kenne ich keine Freunde und keine noch so gut Figur, sondern nur Gegner. Ich ziehe vorbei. Mein härtester Gegner ist immer der Flo von gestern. Der Flo, der ich heute bin, will immer besser sein als der Flo, der ich gestern war. Gut, dass ich mich nicht selbst überholen muss: ich würde mich nicht vorbei lassen.

Auf einem Stück am Wald entlang haben wir sanften Rückenwind, dann geht es kurz durch ein kleines Dorf. Hier stehen Anwohner und klatschen und feuern uns an. Sie feuern mich an. Wie bei manchen meiner 5er damals bin ich in dem leeren Raum zwischen der Spitze, die vorne weg stürmt und außer Sicht ist und dem Hauptfeld, was schon etwas zurück liegt. Ich fühle mich gut! Hinter dem Dorf führt der feste Weg einmal lang grade aus gegen den Wind. ich hänge mich hier ganz dicht in den Windschatten hinter einen Konkurrenten. Gleichschritt, um dichter aufschließen zu können. Kraft sparen. Am Ende der graden lasse ich ihn ziehen, der ist mir noch zu schnell.

Das Licht ist wunderbar! Ich würde am liebsten viele Fotos machen! Wunderschöner Abendhimmel, sanfte Landschaft und ein großer Mond schwebt über uns. Einfach nur schön! Natürlich mache ich keine Bilder, ich bin ja hier zum Rennen, nicht zu genießen.

Die erste Runde ist gut 4km und ich bin gut in der Zeit: etwa zwei Minuten Vorsprung auf meine Mindestzeit von 50 Minuten. Wieder die Grade mit dem Rückenwind und wieder durch das Dorf. Diesmal werde ich noch engagierter angefeuert, weil ich der Einzige weit und breit bin. Die Läufer vor mir sind locker 50 Meter entfernt und hinter mir ist niemand in Hörweite. Eine Gruppe Kinder am Rand feuert mich an und streckt die Hände auf die Strecke: sie wollen abgeklatscht werden. Ich mache mit, genieße den Moment. Nach zwei Jahren Coronoia mit Desinfektions-Wahnsinn und Faust statt Händedruck, sind lachende Gesichter und Hände zum Abklatschen ein Immunitäts-Booster für Herz und Seele!

Hinter dem Dorf wird in dieser Runde die lange Grade gegen den Wind mit einer Zusatz-Schleife verlängert. Ein paar Posten vom Orgateam weisen den Weg, damit niemand abkürzt. Ich will heute Bestzeit und Rennen und alles, aber für einen Scherz ist immer Luft: ich frage lachend, ob sie für mich eine Ausnahme machen? Nein, ich muss auch außen rum. Ok, mache ich gerne. Knie, Beine, Hüften, Füße: alles super. Ich habe auch noch genug Luft, könnte schneller rennen. Aber ich halte mich noch zurück: ab km 8, wo ein deutliches Schild steht, werde ich die Zügel locker lassen und schneller rennen.

Tatsächlich überhole ich jetzt immer wieder einzelne Läufer. Auch der Mann, der mir vorhin Windschatten gegeben hat, wird überholt. Im Windschutz ranschleichen, raus ziehen und mit deutlichem Tempo-überschuss vorbei gehen. Der Überschuss muss in dem Moment so hoch sein, dass er sich auf keinen Fall eingeladen fühlt, sich dran zu hängen! Er soll, im Gegenteil, das Gefühl von „überholt werden“ bekommen um von einer Verfolgung entmutigt zu werden. Rennen. Wettkampf.

Noch 1km, ich gebe jetzt vollen Druck auf die Sohlen. Laufen lassen. Alles raus hauen. Stadion. Großartige Atmosphäre. Musik. Zielbogen. Durch!!!

Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr (es gibt leider keine Uhr am Zielbogen) zeigt mir unglaubliche 45 Minuten! Völliger Wahnsinn. Das hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich kriege einen Lachflash und kann nicht aufhören zu lachen. 45! Unglaublich. Und ich hätte mich sogar über 48 gefreut und hatte 46 für unerreichbar gehalten. Und jetzt habe ich 45:xx geschafft. Verrückt.

In der Nähe des Zielbogens ist eine Leinwand, wo man sich seine Zeit anzeigen lassen kann und da steht es ganz groß: Florian Bechtel: 45:12! Die detaillierten Resultate später im Web bestätigen es:
Netto-Zeit: 45:12
Gesamtrang: 27ter von 92,
Männer: 25ter von 70
und sogar in der harten Altersklasse der M50 siebter von 15. Wir alten Recken.

Fazit: alles hat perfekt gepasst. Tobi hat mich mental unterstützt und ermutigt, Wetter, Orga, Licht, Wind: alles perfekt auf den Punkt. So, genau so, konnte ich meine gute Vorbereitung zu einem fantastischen Rennen umsetzen.

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