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2016 - Idomeni
Geschrieben März 2016 Geschrieben im März 2016
"Nicht unsere Fähigkeiten machen uns aus, sondern unsere Entscheidungen. " Das sagt Dumbledore
zu Harry Potter, als dieser sich fragt, ob er wirklich einer von den Guten sein kann, obwohl er so viele Fähigkeiten
von Voldemort hat. Ich stimme Dumbledore da vollkommen zu.
Am Donnerstag den 24. März sind Oliver und ich mit Olivers VW-Bus und den Sachspenden im Anhänger Richtung Idomeni gefahren. Leider war der Bus der unglaublichen Menge an Hilfsgütern nicht gewachsen und blieb wenige Kilometer nach der Abfahrt mit einer Panne liegen. Ich habe dann umdisponiert und einen Transporter angemietet, der unserer Mission angemessener war. Da wir auf dem Hinweg mit der Fähre fahren wollten und deren Abfahrtszeiten unseren Zeitplan bestimmte, hat diese Neuplanung uns viele wertvolle Stunden gekostet. Wir haben deshalb einige Freunde, die für die Flüchtlinge gesammelt hatten, schwer enttäuscht, indem wir deren Spenden nicht mehr abgeholt haben. Durch die verkürzte Strecke durch die Schweiz haben wir die Fähre pünktlich erreicht und uns nach 1300km Fahrt nach Italien am Freitag Richtung Griechenland eingeschifft. Am Samstag morgen waren Oliver und ich dann in Griechenland und sind vom Hafen zunächst nach Thessaloniki gefahren, wo wir Anja vom Flughafen abgeholt haben. Wir hätten dann direkt nach Idomeni fahren können, die Zeit wäre da gewesen, aber ich hatte zu viel Angst, dort im Dunkeln an zu kommen und überfallen und ausgeraubt zu werden. Deshalb haben wir ein weiteres Mal übernachtet. Am Ostersonntag, 27. März 2016, gab es dann keine weitere Ausrede und wir sind endlich nach Idomeni gefahren. Kurz vorher haben wir an einer Autobahn-Raststädte das erste mal einige Flüchtlinge getroffen. Ca 3000 Menschen lebten nach Aussage des Tankstellen-Betreibers auf dem Gelände; teils in kleinen Camping-Zelten und teils in großen weißen Zelten des UN-Flüchtlings-Hilfswerks. Anja und Oliver haben ganz locker mit denen Fussball gespielt, während ich mich nicht so nah ran getraut habe. Berührungsängste. Ich musste auf die Toilette und der Pächter hat mir die abgesperrte Stahltür zu seinen blitzsauberen und bestens gepflegten Sanitären Anlagen geöffnet, die er gegen die Flüchtlinge verschlossen gehalten hat. Im Keller auf dem Luxus-Klo habe ich mich für diesen Komfort geschämt und gleichzeitig das Gefühl von Sicherheit vor den Flüchtlingen empfunden. Dann fahren wir "rein" zu dem griechischen Dorf Idomeni. Am Dorfeingang haben Freiwillige eine Art Rezeption aufgebaut, wo ankommende Helfer und Flüchtlinge sich informieren können. Tracy und Wendy von der Rezeption haben uns einen Plan des Lagers gegeben und uns geraten, uns erst mal um zu schauen. Es gibt kein "Lager" im eigentlichen Sinn. Vielmehr ist es so, dass eine wichtige, mehrgleisige Bahnverbindung Griechenland mit dem Rest der Welt verbindet. Diese Bahntrasse erreicht beim verschlafenen Dorf Idomeni die Mazedonische Grenze. Die Flüchtlinge, die entlang der Gleise Richtung Europa gewandert sind, werden an der Grenze gestoppt und halten sich jetzt in dem Bereich auf. Sie schlafen in kleinen Zelten auf den umliegenden Feldern, den Gleisen oder den Bahnsteigen. Außerdem haben die Ärzte ohne Grenzen und die UN große Sammelzelte, Küchen, Sanitäre Anlagen und sonstige Versorgung aufgebaut.
Wir hatten einen großen Tapeziertisch dabei und wollten die mitgebrachten Hilfsgüter aus dem Transporter und dem Anhänger auf diesem Tisch auslegen. Tracy und Wendy finden den Plan gut, bereiteten uns aber freundlich darauf vor, dass wir bald einen besseren Plan machen würden. Wir fahren also mit dem Transporter die Straße Richtung Grenze. Sobald wir anfangen, den Anhänger auf zu machen, kommen die Flüchtlinge in Scharen auf uns zu. Manche brauchen Schuhe in Größe 42, manche suchen Babykleidung 128, andere fragen uns nach Taschenlampen. Da wir die Sachen nicht sortiert haben, dauert es ewig, im Anhänger nach dem Gesuchten zu wühlen und es bildet sich Gedränge und Geschiebe. Und weil die weiter weg befindlichen Flüchtlinge bei uns eine große Menschentraube sehen, denken sie, hier gibt es was ganz besonderes und kommen ebenfalls zu uns. Wir packen den Tisch schnell ein und flüchten.
Dabei fällt mir positiv auf, dass die Häuser und Gärten der Einwohner in Idomeni sauber und unbeschädigt sind. Die Flüchtlinge gehen hier offensichtlich respektvoll mit dem Eigentum ihrer Gastgeber um. Die Flüchtlinge und wir Helfer werden in dieser abgelegenen Region ganz eindeutig als Wirtschaftsfaktor gesehen und geschätzt. Wenn ein paar hundert Einwohner von Idomeni so gut mit 12.000 Flüchtlingen klar kommen, kann ich nur traurig den Kopf schütteln, wenn Deutsch Angst vor ein paar Tausend Einwanderern haben. Traurig. Die sollten mal nach Idomeni oder an andere Orte der Welt gehen und mit anpacken die Welt besser zu machen. Wer keine Ausländer bei sich will, soll sich tatkräftig dafür einsetzen, dass niemand vertrieben wird und niemand flüchten muss. Mir begegnen Teams von Freiwilligen, die im Camp, am Bahnhof und entlang der Gleise Müll sammeln. auch diese Arbeit ist wertvoll und ich bewundere diese Menschen für ihren Einsatz. Wo immer sich ein haufen mit Müll findet wird er auf originelle Art beseitigt: anzünden. Dadurch ist die Luft stickig und brennt in den Augen. Auf der anderen Seite kann auf diese Art nichts verschimmeln oder verfaulen und es werden keine Ratten angezogen. Auch Krankheiten können dann zumindest nicht durch Abfall übertragen werden. Im Camp ist es zwar nicht sauber, es liegt viel mehr Müll rum als in Deutschen Kleinstädten, aber immer noch sauberer als die Wege zwischen einem Deutschen Fußball-Stadion und dem nächsten Bahnhof nach dem Spiel. Wer mir sagt, Flüchtlinge wären schmutzig, kann am Sonntag dort mit aufräumen! Da wir für die kommenden Nächte kein Übernachtung gebucht haben, folgen wir der Empfehlung von Tracy und Wendy und fahren in's nahe gelegene Polikastro. Im dortigen Park-Hotel übernachten viel andere Freiwillige und es herrscht ausgelassene Stimmung. Für uns ist kein Platz frei, aber der Wirt weiß noch freie Appartements, wo wir unterkommen können. Am nächsten Morgen frühstücken wir im Parkhotel und arbeiten dann zunächst einige Stunden am einrichten einer Sortierstation. Dort werden ankommende Spenden von Freiwilligen sortiert und dann in eine andere Halle, Warehouse A genannt, gebracht. Von dort können Helfer, die Waren verteilen möchten, die Hilfsgüter mitnehmen. Mich begeistert die Organisation der Freiwilligen. Es gibt keine geschriebene Hierarchie oder Befehlskette, sondern Menschen, die eine gute Idee oder Initiative haben. Gute Initiatoren finden Unterstützer, die in ihrem Team mit anpacken und es entstehen kleine, wirkungskräftige Gruppen. Wer als Teamleiter fachlich oder persönlich inkompetent ist, dem laufen die Freiwilligen davon. Die Köpfe der guten Teams, die länger vor Ort aktiv sind, vernetzen sich untereinander, wobei nach dem Prinzip der Freiwilligkeit neue Hierarchieebenen entstehen. Das ganze läuft ohne Druck und ohne Zwang und ist unglaublich effektiv. Nachdem wir die mitgebrachten Hilfsgüter, die wir nicht selber verteilen konnten, an der Sortierhalle abgegeben hatten, fahren wir im nahe gelegenen Lidl einkaufen. Wir packen alles ein, wonach wir gefragt wurden und schieben es in den Transporter. Ich habe noch nie für über 1000 € im Lidl eingekauft. Es ist ein tolles, berauschendes Gefühl, so arbeiten zu können. Sonst gehe ich die Regale auf und ab und überlege, was wir zu hause brauchen und überlege bei jedem Teil, ob ich es kaufen soll oder ob die Zahnbürste noch ein paar Wochen länger hält. Auch achte ich sonst darauf, nicht zu viel ein zu kaufen, weil etwas schlecht werden könnte. Hier ist das anders. Ich habe die Taschen voll Geld und muss nur überlegen, wofür ich alles ausgebe. Äpfel? Klar: alle die da sind. Windeln? Klar, mach den Wagen voll. Kaufen mit einzigen Ziel alles gespendete Geld aus zu geben, gibt mir das Gefühl von Reichtum. Wieder spüre ich die Ränder der Falle, mich mit der Mission zu verwechseln. Es baut unglaublich auf, an der Kasse so unglaublich große Mengen an Waren und Bargeld zu verschieben. Die Gesichter der Kassiererinnen reflektieren mich als reichen Mann und ich liebe diesen Spiegel, auch wenn er lügt. Ich stelle fest, dass die Gefahren von Idomeni in mir liegen, nicht in den Flüchtlingen. Am nächsten Morgen frühstücken wir im Parkhotel und treffen dabei Silke, eine Freiwillige die eine Aufgabe sucht. Ich kann sie für mein Team gewinnen und wir fahren mit ihr nach Idomeni. Wir packen uns am Transporter unsere Taschen und gehen los. Ich halte jeweils die angebotene Ware, z.B. einen Apfel, mit der rechten Hand hoch und gehe dann von Mensch zu Mensch. Mit der Linken hole ich dann je einen Apfel aus der Tasche und reiche ihn. Auf diese Weise erreichen wir auch Zelte und Flüchtlinge, die nicht an die Straße oder nach vorne kommen können. Wieder erfüllt mich diese Begeisterung, so helfen zu können. Ich kann hier viel mehr verschenken als ich besitze und das erfüllt mich mit unbeschreiblichem Glück. Ich werde hier durch die vielen Dinge, die ich dank der zahlreichen Spender zu hause verschenken darf, als reich und respektabel angesehen. Und das fühlt sich so gut an! Ich helfe gerne, ich helfe wirklich gerne. Schon immer war meine "Masche" bei den Damen meine Hilfsbereitschaft. Ich war nie cool, sah nie gut aus, konnte keine Witze erzählen und war immer die Randfigur, der Außenseiter. Aber ich kann Autos und Computer heile machen, ich kann bei Umzügen mit anpacken und Kinder hüten. Ich kann Taxifahrer und Anstreicher sein. Und hier kann ich so unglaublich viel verschenken. Alle sind begeistert mich an ihrem Zelt zu sehen, jeder strahlt mich an, alle sind total nett zu mir. Es fällt mir unglaublich schwer im Kopf zu behalten, dass 90% der mir entgegen gebrachten Sympathie der Seife oder dem Apfel gilt. Und 9% gehen an meine Dienstleistung, von Deutschland hier her nach Idomeni an dieses Zelt zu kommen und die Güter an zu bieten. Und auch das 1%, ich als Mensch, kann nur geraten sein, denn niemand hier kennt mich. Trotzdem scheint mich jeder zu mögen. Ich komme mir so großartig vor, weil ich helfen und glücklich machen kann. Wunderbar! Um so härter trifft mich dann die Realität, als mir ein blutendes, weinendes Mädchen entgegen stolpert. Sie kommt zum Zelt ihrer Mutter, der ich grade Shampoo gegeben habe. Eben habe ich mich noch großartig gefühlt, als ich das Shampoo verschenken konnte, und schlagartig spüre ich Verzweiflung in mir, als mir klar wird, dass dieses Mädchen kein Shampoo sondern einen Arzt braucht. Und sie braucht einen sicheren Platz zum schlafen, eine sichere Umgebung, Frieden und eine Heimat. Ich bin so schwach, so klein, so hilflos angesichts des unbeschreiblichen Elends dieser Menschen, dass mir die Tränen kommen und ich zum Transporter zurück laufe. Das Bild dieses Mädchens bewegt mich. Sie ist im Alter meiner Töchter und jede Faser von mir schreit danach, sie zu behüten, zu beschützen, zu retten. Und doch muss ich sie in all diesem Elend zurück lassen. Mich erfüllt eine unglaubliche Trauer und Wut, auf alle die an dieser Katastrophe mit verantwortlich sind. Auf Waffenhändler und religiöse Fanatiker, auf macht hungrige Politiker und habgierige Kapitalisten, auf Militärs und Behörden. Niemand soll je wieder in meiner Gegenwart irgendeine Form von Krieg oder Gewalt gutheißen! Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt, für niemanden. Gewalt ist immer falsch. Als ich am Transporter ankomme, setze ich mich zunächst auf den Boden und bin erschüttert. Ich weine und brauche einige Minuten, um mich zu sammeln. Dann packe ich mir die nächsten Taschen und mache mich wieder auf den Weg. Jetzt erst recht! Irgendwie ist auf einmal Dienstag und wir müssen Anja zum Flughafen nach Thessaloniki bringen. Wir arbeiten bis zur letzten Minute im Camp und liefern sie dann ab. Auf dem Rückweg wollen Oliver und ich nicht wieder die teure Fähre nehmen sondern über Land fahren. Deshalb kommen wir auf der Autobahn noch mal an Idomeni vorbei. Wir fahren diesmal allerdings nicht wieder in das Dorf selber, sondern verteilen die Hilfsgüter an der Autobahn-Raststädte, die wir auf der Hinfahrt gesehen haben. Auch hier freuen sich die Menschen sehr! Die Rückfahrt ist lang, sehr lang. Ich bin sehr müde und die Kilometer ziehen sich ewig. Durch den Anhänger können wir nicht so schnell fahren und wir verlieren an jeder Grenze viel Zeit mit Formalitäten. Ich bin sehr froh, als ich endlich wieder zu hause bin. Gleichzeitig weiß ich, dass ich solche Hilfsaktionen wieder machen will. Weil es so viele Menschen gibt, die Hilfe brauchen und weil es sich so wunderbar anfühlt zu helfen. Ich bin stolz auf meine Entscheidung, nach Idomeni zu fahren. Auch wenn ich nicht die Welt retten konnte, auch wenn es nur ein winziger Tropfen auf einem glühend heißen Stein war, auch wenn nur der kleinste Teil der Hilfe, die ich gebracht habe wirklich von mir kam. Ich habe getan, was ich konnte. Es ist sicher keine schlechte Eigenschaft von mir, dass ich mich großartig fühle, wenn ich helfen und schenken kann. Ich bin froh, dass ich diese Eigenschaft habe, egal ob es an den Genen oder der Erziehung, den Quäkern, der Gesellschaft oder was auch immer liegt. Sie macht es mir viel leichter der Mensch zu sein, der zu sein ich von mir erwarte. Der Dank der Flüchtlinge von Idomeni geht an alle meine Freunde, Verwandten, Arbeitskollegen, Sportkameraden und alle anderen, deren Spenden den Menschen dort so sehr geholfen haben! Mein ganz persönlicher Dank geht an die gleichen Personen, weil sie mir die Möglichkeit gegeben haben, mich dort einzubringen, wo ich gebraucht wurde. zurück zur Startseite |