2017 - Brocken-Challenge
Ein Gepäcktransport der Besonderen Art
Geschrieben März 2017
Der Brocken, irgend so ein Ding im Harz, soweit reichten noch
meine Kenntnisse, aber das war auch schon alles. Ein kurzes Stöbern
auf der Internettseite des Veranstalters, ein Blick in den Terminkalender
und die Empfehlung eines Freundes und schon war ich wieder bei
etwas angemeldet, wo von ich keine Ahnung hatte was auf mich zukommen
sollte:
Der oder die Brocken Challenge, 84km, 1800 HM ein Lauf für
einen guten Zweck, ohne Stress, da ohne offizielle Zeitnahme,
also eigentlich ein wunderbarer Trainingslauf. Bis wenige Tage
vor dem Start glaubte ich auch noch selber daran.
Den ersten Schreck hatte ich schon Wochen vorher im Urlaub bekommen,
als plötzlich mein Handy klingelte und ich mich mit vollem
Bauch, träge und faul darüber wunderte, warum Florian
es so eilig hatte sich um die Unterkunft zu kümmern. Wir
hatten doch noch massig Zeit. Erst mal Urlaub machen, die Trainingspause
verdauen, langsam wieder anfangen und dann mal sehen. Schlagartig
wurden mir die Augen geöffnet, ich hatte mich um etwa einen
Monat vertan. Es blieben mir nicht mal mehr 4 Wochen.
Lange rede kurzer Sinn, am nächsten morgen, vor dem Frühstück
(und wer mich kennt der weiß, dass ich das hasse) war ich
mit Alex Joggen. Nicht viel, aber immerhin ein Anfang.
Nach dem Urlaub habe ich dann versucht meine subjektive völlig
verlorengegangene Form langsam wieder aufzubauen.
Na ja, für einen Trainingslauf müsste es schon reichen,
dachte ich auch noch, als wir uns bei Florian trafen um einige
Einzelheiten zu besprechen. Aber trotz dieses Treffens und einer
groben Vorplanung wurde mir erst in der Woche vor dem Start klar,
auf was ich mich da eingelassen hatte.
Anfahrt und Übernachtung war geklärt und eingepackt
hatte ich mal wieder meinen halben Sportklamottenfundus. Das auf
der Hinfahrt nach Göttingen unser Auto Zicken machte und
mir das auch mit leuchtendem Warnhinweis zu verstehen gab, ignorierte
ich einfach und dachte nicht im Traum daran dies als schlechtes
Vorzeichen zu verstehen.
Alles klappte prima, wir trafen uns in Göttingen mit den
anderen Startern, bekamen unsere Unterlagen, lernten Ulf kennen,
der uns Teile seines Hauses als Unterkunft zur Verfügung
stellte und nisteten uns nach einer weiteren kurzen Fahrt dort
mit zwölf oder dreizehn Leuten ein.
Während die einen, so wie ich, noch mit dem Sortieren der
Laufsachen beschäftigt waren, waren die Andren, fast alle
Anderen, schon damit beschäftigt Nudeln zu kochen und Tisch
zu decken. Und nur durch einen beherzten Zwischensprint waren
Dagmar und ich noch in der Lage einen Rest Nudeln mit Sauce zu
ergattern.
Irgendwann so gegen 23 Uhr klang dann der gemütliche Abend
in großer Runde aus und alle krochen in Ihre Schlafsäcke.
Ausnahmsweise war ich mal nicht nervös, schlafen konnte ich
aber trotzdem kaum, Isomatte und Schlafsack sind einfach nicht
meine bevorzugten Schlafutensilien. Als um 4 Uhr dann das erste
Handy klingelte war ich eigentlich ganz froh aufstehen zu können.
Ein kurzes Frühstück mit den anderen und ab mit den
Rucksäcken ins Auto. Mir war schon am Abend vorher aufgefallen,
das kaum einer so viel Krempel eingepackt hatte wie ich, aber
jetzt, als ich so die Rucksäcke verglich, musste ich feststellen
ich hatte definitiv die meisten Sachen mit:
Den Jordanien bewährten Aldi Rucksack gefüllt mit Regenjacke,
Wechselhose, Wechseloberteil, Reservesocken und Fliesjacke. Dazu
das Frontpack mit den Trinkflaschen und der Verpflegung, dem Handy,
dem Navi, was ich mir von einem Kollegen geliehen hatte, und diversem
Kleinzeug wie Messer, Pflaster usw.
Natürlich hatte ich schon warme lange Laufsachen und meine
Regenlaufjacke an, die Mütze auf dem Kopf und die Handschuhe
in der Jackentasche. Zu guter Letzt war da dann noch die Plastiktüte
mit meiner Nummer drauf, die zum Ziel auf den Brocken gebracht
werden sollte, mit frischen Sachen zum Umziehen nach dem Duschen.
Na zum Glück transportierte mein Auto die Sachen erst einmal
bis zum Start nach Göttingen.
Kurz vor 5:45 Uhr, den nummerierten Sack habe ich bereits abgegeben
und sitze wieder mit Bernd, Yogi und Georg, die mit mir zusammen
angereist sind, im warmen Auto. Die Stimmung ist ausgelassen,
wir scherzen und es scheint sich jeder auf den kommenden Start
zu freuen. Um uns herum werden Räder zusammengebaut, Lampen
getestet, Fotos gemacht und Rucksäcke probiert. Das alles
lässt sich nur, von einer einzelnen Laterne beleuchtet, erahnen.
Zwischendurch erhellt immer mal wieder ein Blitzlicht die Dunkelheit,
5:50 Uhr, Zeit das warme Auto gegen den Krempel im Kofferraum
zu tauschen.
Es dauert etwas bis ich den Rucksack auf habe, das Frontpack angeschnallt
und mich zu den anderen gesellt habe. Das erste Gruppenfoto habe
ich verpasst, aber auf dem Zweiten und dritten bin ich verewigt.
Es ist schwer zu schätzen wie viele wir sind, 67 sollen gemeldet
sein, einschließlich der begleitenden Radfahrer. Eine kleine
Truppe, im dunkeln, unter einer einzelnen Laterne, und wir lauschen
mehr oder weniger den aufmunternden Worten des Veranstalters Markus
Ohlef und dem Schirmherr, einem Professor aus Göttingen.
Wenn ich die Atmosphäre vergleiche mit der wummernden Musik,
den wuselnden Menschen und dem hellen Scheinwerferlicht bei anderen,
größeren Veranstaltungen..... jede hat ihr Flair und
ich möchte nichts davon missen.
Irgend jemand, vermutlich Markus Ohlef, sagt „LOS“,
und wir setzen uns in Bewegung. Das schwache Licht der Laterne
verschwindet, um uns herum ist nur dunkler Wald, unter uns ein
gut zu laufender Weg und überall vor und hinter uns spiegelt
sich das Licht unserer Lampen an den Reflektoren der anderen Teilnehmer.
Schnell zieht sich das Feld auseinander. Ab und zu kommt ein Mountainbiker
vorbei, der entweder als einer der Letzten gestartet ist, oder
mit seinem Läufer das Feld von hinten aufrollt. Nicht alle
haben Ihre Lampen an, aber selbst wenn, könnten sie die Gegend
um uns herum nur schwach beleuchten. Es ist fast Vollmond, aber
bewölkt und so ist außer dem kurzen Lichtschein vor
meinen Füßen und einer langen immer blasser werdenden
Schlange Lichter nichts um mich herum zu erkennen.
Ich laufe neben Florian, oder besser gesagt kurz vor ihm, denn
wieder einmal gehen die Pferde mit mir durch. Wohl wissend, dass
ich nicht so fitt bin, wie hätte sein sollen, habe ich mir
fest vorgenommen mich an Florian zu halten, mich von ihm bremsen
und später ziehen zu lassen. Er macht seine Sache unwissentlich
gut und gibt mir immer wieder zu verstehen dass ich zu schnell
bin. Die anderen aus unserer losen, durch die gemeinsame Übernachtung
entstandene Gemeinschaft, sind überall im Feld verteilt,
einige vor, andere hinter uns.
Nur unterbrochen durch die ersten Pinkelpausen, laufen Florian
und ich mit wechselnder Begleitung durch die Nacht. Ohne es bewusst
zu merken, führen wir eine kleine Gruppe an, verlieren aber
den Anschluss zu den Läufern vor uns und stehen auf einmal
auf einer Kreuzung, im dunkeln, ohne Wegweiser. Keiner von uns
hat etwas gesehen, um uns herum ist nur dunkler Wald. Ich hole
das kleine Navi aus meinem Frontpack und zuverlässig zeigt
es mir den Weg in die Dunkelheit. Wir hätten nur gerade aus
weiterlaufen müssen, aber durch Reden abgelenkt, durch das
fehlende Licht verunsichert, waren wir stehen geblieben.
Das beleuchtete Display zeigt mir als nächstes eine scharfe
Rechtsbiegung an. Wenige Meter, dann geht es links den Berg runter,
klasse, ein beruhigendes Gefühl, das Ding dabei zu haben.
Ausnahmsweise laufe ich nicht neben Florian her, sondern unterhalte
mich mit Bill über den UTMB und schon bin ich etliche Meter
voraus. Die erste Verpflegung kommt in Sicht. Einfach an einer
Kreuzung ein Tapeziertisch, aber mit allem was das Läuferherz
begehrt. Ich esse einen Riegel trinke einen Schluck warmen Tee
und laufe wieder zusammen mit meinem Schatten los. Der einzige,
der konsequent in unserer Nähe bleibt, ist Markus, Florians
bester Freund und wohl auch innigster Rivale, wie ich später
noch fest stellen sollte. Er lässt sich oft etwas zurückfallen,
oder läuft vor, was Florian des häufigeren zu einem
zügigen Aufbruch verleitet. Mir ist es recht, der Weg ist
noch lang und am Ende spurten kann ich auch.
Die ersten ca.10 km sind geschafft. Von Anfang an gehen wir die
Steigungen und laufen wieder wenn es gerade oder bergab geht.
Es dämmert, kein schöner Sonnenaufgang, es wird einfach
hell, unspektakulär, ich merke es nicht einmal und irgendwann
meint Florian ich könne meine Lampe ruhig ausschalten.
Wir erreichen den nächsten Versorgungsplatz. Aus dem Kofferraum
eines Autos bekommen wir herrlich warmen, nein heißen Tee,
Keks, Bananen und etwas was aussieht wie Mozartkugeln und Marzipankartoffeln.
Ich wiederstehe der Versuchung nach Schokolade, die mir doch nur
im Mund klebt und genehmige mir stattdessen ein nicht weniger
klebriges Powergel Tropical Fruit. Lecker...., irgendwann muss
ich mal meine Wettkampfernährung auf Kekse und Schokolade
umstellen.
Weiter geht es am Ufer des Seeburger Sees. Vor uns läuft
eine Frau mit Ihrem Begleiter, zu ihnen aufgelaufen bremst mich
Florian wieder, ich habe mein Tempo noch immer nicht im Griff.
Abwechslungsreich ist die Landschaft, nachdem wir bisher auch
viele bergab Passagen hatten, geht es im Moment hauptsächlich
eben weiter. Durch ein Wohngebiet laufen wir, an einer Landstraße
entlang, aber die nächsten Wiesen, Wälder und Hügel
sind schon in Sicht.
Ein kurzer Anstieg über eine Wiese und wir sind in einem
Waldstück in dem der Sturm Kyrill deutliche Spuren hinterlassen
hat. Als Florian und ich stehen bleiben um Fotos zu machen, läuft
Markus wieder zu uns auf und gemeinsam bekommen wir einen kleinen
Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet. Der Boden ist weich,
matschig, überall sind Pfützen und ich bin froh keine
nassen Füße zu bekommen.
Es geht wieder runter, aber nur um kurze Zeit später wieder
anzusteigen, durch kleine Orte, über Felder und in der Ferne
kommen die Schornsteine von Rhumspringe, unserem nächsten
Ziel in Sicht. Die Strecke führt über eine Landstraße,
lang, gerade, eben, öde, langweilig und zum ersten mal merke
ich meine Beine. Die 30km Marke, wenn auch nicht angezeigt, dürften
wir passiert haben und ich bin froh, als nach kurzem Suchen unter
Zuhilfenahme meines Navi, endlich der Posten mit dampfendem Tee
im Wald auftaucht.
Die nächsten Getränke gibt es erst bei km 45, wie mir
Florian erzählt, Ulf stehe dort mit seinem Rotbuschtee-Stand,
aber im Moment laufe ich nur der Hälfte entgegen. Plötzlich
weicht der Wald zurück und wir haben einen herrlichen Blick
auf die Hügel des Harzes, die vor uns im Dunst von der Sonne
beschienen werden. Der Brocken ist nicht zu sehen, aber es ist
zu erahnen was noch vor uns liegt. Meine müden Beine haben
sich zu einem echten Tief entwickelt und schon lange zieht mich
Florian mehr als das er mich bremsen muss.
Wir unterhalten uns und die Zeit vergeht und dann steht es da,
ein kleines unscheinbares Schild, was mir wieder Mut gibt: 42km,
die Hälfte ist geschafft. Wir laufen auf einem Hügel
und im Tal irgendwo muss Ulf mit seinem Wagen stehen. Ich ziehe
das Navi zu Rate, der Weg ist gut beschildert, aber es ist ein
wenig Ablenkung. Es zeigt mir den Weg, was es mir nicht zeigt,
ist, dass wir den letzten km auf dem Bürgersteig einer Durchgangsstraße
laufen müssen, unangenehm, aber auch dieses Stück ist
bald geschafft.
Wir stärken uns ausgiebig und füllen die Trinkflaschen
auf, denn jetzt kommt das Stück, das Markus Ohlef in der
Streckenbesprechung als „Entsafter“ bezeichnete. Wir
sind jetzt mitten drin in den Hügeln des Harzes. Die folgenden
km schleppe ich mich nur neben Florian her. Er ist gut drauf,
die Strecke liegt ihm, ich hasse sie. Der breite Waldweg schlängelt
sich immer am Hang entlang, langsam nach oben. Wir laufen, aber
die leichte Steigung verführt mich immer wieder gehen zu
wollen. Die Strecke ist nicht „hü“ und nicht
„hot“, nicht eben aber es geht auch nicht richtig
rauf, ich quäle mich und stopfe ein Gel nach dem anderen
in mich rein, in der Hoffnung das sie irgendwann wirken. Ohne
Florian hätte ich hier eine menge Zeit verloren.
Wir überqueren eine Wasserscheide, es geht kurz bergab um
dann wieder, allerdings jetzt sogar über Kopfsteinpflaster
wieder seicht bergauf zu gehen. Bis hierhin habe ich die Zähne
zusammengebissen, aber auch Florian hört jetzt auf zu laufen
und gemeinsam überholen wir in einem letzten läuferischen
Aufbäumen einen anderen Teilnehmer mit seinem Mountainbikebegleiter.
Still vor uns hin fluchend erreichen wir endlich die Jagtkopfhütte,
die nächste Verpflegungsstelle.
Ich habe einen Stein im Schuh und setzte mich kurz in die kleine
Schutzhütte um ihn zu entfernen, während Florian sich
schon einmal mit heißem Tee versorgt. Markus, auf der letzten
Etappe wieder etwas zurückgefallen, trudelt auch ein und
gemeinsam machen wir noch Fotos. Dieser Punkt der Strecke kann
nicht mit Fahrzeugen erreicht werden, daher haben zwei Reiterinnen
die Versorgung übernommen, was aber weder der Qualität
noch der Quantität schadete. Ein letztes Bild mit den vierbeinigen
Helfern und weiter geht es wieder in den Wald hinein.
Markus und Florian sind sich nicht einig, ob es jetzt weiter rauf
oder wieder runter geht, mir ist es egal. Mein Gefühl sagt
mir es geht bergab, aber es ist nicht einfach zu laufen. Es liegt
Schnee auf dem Weg und nur eine schmale Spur ist frei, in der
zu laufen es einiges an Konzentration benötigt. Das Wetter
wird schlechter, es ist frisch und es beginnt zu Regnen. Eigentlich
bin ich viel zu warm angezogen. Schon vor etlichen km war ich
völlig durchgeschwitzt, aber etwas auszuziehen war mir zu
riskant und so läuft mir teilweise das Wasser aus den Ärmeln.
Solange ich in Bewegung bleibe ist mir warm, ich darf halt nur
nicht stehen bleiben. Es beginnt stärker zu Regnen und ich
ziehe meine Regenjacke über. Aber kaum habe ich alles an,
hört es auch schon wieder auf. Um nicht noch mehr zu Schwitzen
mache ich die Regenjacke wieder auf, ziehe sie dann ganz aus,
um festzustellen, dass es kurze Zeit später wieder anfängt
zu tröpfeln. Florian scherzt und bittet mich die Jacke anzulassen,
das Wetter wäre dann besser, HaHa, ich lasse die Jacke aus
und gemeinsam erreichen wir den nächsten Verpflegungspunkt,
Lausebuche.
Der Regen wird stärker aber in dem kleinen Pavillon des Kontrollpostens
sitzen wir trocken und genießen eine heiße Kartoffelsuppe.
Das verlockende Angebot uns im, mit Standheizung ausgerüstetem
Auto, etwas aufzuwärmen schlagen wir aus, denn auch so schon
ist es schwer genug wieder aufzubrechen. Eingepackt in meine Regenjacke
bin ich es nun, der mit etwas Abstand hinter Markus und Florian
den Pavillon verlässt. Gerade als ich gehe kommt Konrad an,
ich aber zockel noch eine ganze Weile hinter meinen beiden Wegbegleitern
her. Langsam merke ich wie meine Lebensgeister, die Motivation
und der Wille zurückkehren. Entweder es liegt an den Kilometern,
die jetzt eindeutig weniger werden, oder an den Gels, die ich
mir immer wieder zu Gemüte führe, aber ich schließe
wieder zu Florian auf und kaum laufen wir wieder zusammen, fällt
Markus zurück.
Es wird immer Winterlicher, es riecht nach Schnee, aber vom Himmel
kommt nur Wasser. Der Wind peitscht uns den Regen ins Gesicht,
als wir die eine oder andere Lichtung überqueren. Mittlerweile
hat Konrad zu uns aufgeschlossen und wir funktionieren prima im
Dreiergespann. Abwechselnd übernimmt einer die Führung,
es tut gut ab und zu einfach mal nur hinterher zu laufen. Auf
dem Weg zum Königskrug kommt uns eine Gruppe Jugendlicher
entgegen, ihre Gesichter spiegelten eindeutig ihre Gedanken wieder
und sprachen Bände. Aber wir wissen warum wir das hier tun,
meistens zumindest.
Der Parkplatz kommt in Sicht, mir tun die drei netten Posten
leid, wie sie da so im strömenden Regen stehen, wobei dies
wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit beruht. Ganz gegen meine eigentlich
Überzeugung habe ich mich bisher bei fast allen Pausen hingesetzt,
hier finde ich kein trockenes Plätzchen. Florian bietet mir
seins an, nutzt aber den Energieaufwand direkt um aufzubrechen.
Markus, mittlerweile auch angekommen, und Konrad sind auch schon
wieder fitt und brechen auf. Florian bietet mir an in Oderbrück
zu warten, aber so haben wir nicht gewettet, so schnell werdet
Ihr mich nicht los. Ich schließe schnell auf und weiter
geht es durch den jetzt doch schon recht weißen Wald.
Das Laufen ist anstrengend, die Wege sind mit Schnee bedeckt,
der jedoch so weich ist, dass man sich nicht richtig abdrücken
kann. Unser kleines Team kommt gut voran, Markus wie immer etwas
abgeschlagen zurück. Florian scheint im Moment gut drauf
zu sein, den er führt und hält das Tempo hoch. Konrad
fällt zurück, ich halte den Anschluss und gemeinsam
laufen wir, wo es geht, nebeneinander her. An einem schönen
weißen Teilstück halten wir an, Konrad schließt
auf und wir machen wieder Fotos.
Es geht wieder runter und es wird immer matschiger. Immer häufiger
müssen wir große Wiesenstücke überqueren,
die völlig unter Wasser stehen.
Bisher haben meine Trailschuhe wunderbar ihre Arbeit gemacht,
die Blasen schon ca. ab km 50 waren zu erwarten, aber jetzt stoßen
auch sie an ihre Grenzen. Das erste Wasser schwappt rein und kühlt
die Füße schlagartig ab. Den Bemerkungen der anderen
nach geht es Ihnen genau so. Dem kurzen, stechenden Schmerz nach
zu urteilen ist mir gerade die Blase am Ballen geplatzt, aber
scheinbar dank des kalten Wassers verschwindet der Schmerz genau
so schnell wie er gekommen ist. In recht zügigem Tempo laufen
wir an verwunderten Spaziergängern vorbei, sind uns kurz
nicht einig über den richtigen Weg, aber Dank Florian erreichen
wir endlich den letzten Posten.
Richtig urig ist es hier. In einem kleinen Wartehäuschen
steht ein Elektroofen, es gibt Frikadellen, Spritzgebäck
und Kuchen. Ich probiere alles und beschließe dabei mir
ein trockenes Shirt anzuziehen, wofür schleppe ich schließlich
den ganzen Krempel mit mir rum. Gerade als ich da so mit nacktem
Oberkörper stehe macht Florian Stress und bricht völlig
überhastet auf. Markus ist schon unterwegs, das ist es also,
jetzt hier kurz vor dem Ziel bricht die Konkurrenz zwischen den
beiden Freunden offen aus. Ich habe keine Chance zu folgen und
ziehe mich erst einmal in Ruhe an.
Im Rausgehen frage ich noch schnell nach der verbleibenden Strecke:
etwa 7km, pillepalle, das schaffe ich jetzt noch locker. Bevor
ich loslaufe bittet mich der Fotograph, der uns schon bei km 45
abgelichtet hat, noch einmal mit angestrengtem Gesicht an ihm
vorbei zu laufen, sehe ich tatsächlich locker aus?
Ein weiterer Teilnehmer mit seinem Biker begleiten mich ein Stück,
bevor sie an der nächsten Steigung gehen, ich aber fühle
mich prima (vielleicht versuche ich es mal mit Frikas und Spritzgebäck
statt Powergel) und laufe weiter. Nach kurzer Zeit kommen die
zwei Konkurrenten in Sicht, auch Konrad hat sich mitreißen
lassen. Ich schließe auf und überhole zum Scherz winkend,
um mich Ihnen dann wieder anzuschließen. Nein, für
mich steht fest, abhängen lasse ich mich nicht mehr, aber
obwohl ich mich jetzt wieder prima fühle würde ich auch
keinen Alleingang mehr machen, fast 80km gemeinsam, da lasse ich
keinen mehr stehen.
Florian erzählt mir von seiner Konkurrenz mit Markus, das
er es ihm mal gönnt nach der verkorksten Saison im letzten
Jahr, aber im selben Atemzug teilt er mir mit, dass er jeden Moment
mit einem Angriff von Markus rechnet, ihn aber auf jeden Fall
parieren wird. Die Probleme habe ich nicht, ich fühle mich
fitt genug jedes Tempo mit zu gehen.
Endlich jetzt nach 80km kommt mein Terrain, es wird steiler, der
Wind nimmt immer weiter zu, noch sind wir im Wald, aber zwischen
durch gibt es immer wieder einen Vorgeschmack auf den Gipfel des
Brockens. Schade das wir fast keine Sicht haben, die Bäume
sind verschneid, der Weg schneebedeckt, etwas rutschig aber doch
recht gut zu laufen. Laufen geht fast besser als gehen. Immer
wieder kommen uns verwunderte Wanderer entgegen und auch erste
Langläufer brausen an uns talwärts vorbei. Jetzt wird
es richtig steil, nicht ganz so wie in der Schweiz beim Inferno,
aber ich mag dieses Profil.
Meine linke Hand liegt auf meinem Oberschenkel zur Unterstützung,
die rechte schwingt locker im Takt meiner Beine. Als ich mich
oben umdrehe, habe ich nicht nur zwei weitere Teilnehmer überholt,
sondern auch locker Konrad und Florian abgehängt. Ich rufe
ihnen einen lockeren Spruch zu, und warte bis sie mich erreichen.
Florian erinnert sich an die Strecke und empfiehlt an den Gleisen
der Brockenbahn, die wir mittlerweile erreicht haben, weiter zu
laufen. Eine Weile läst es sich gut auf dem gefrorenen Schotter
laufen, dann aber wechseln wir wieder auf den Weg.
Ein Laufen ist jetzt nur noch schwer möglich, es beginnt
zu dämmern, der Weg ist teilweise gefroren und rutschig,
dann wieder weich mit löchern. Als ich unerwartet in so ein
Schneeloch trete und mein gesamtes Gewicht mit einem Bein abfangen
muss, merke ich, was ich die letzten Stunden getan habe. Den anderen
Zwei geht es aber nicht besser und so gehen wir gemeinsam zügig
weiter bergauf. Ich sehe nicht, dass Florian sich umdreht, aber
aus gelegentlichen Bemerkungen folgere ich, dass er am liebsten
Augen im Hinterkopf hätte um nach Markus zu sehen. Ein Umdrehen
hier auf diesem unebenen, rutschigen mit unterschiedlich großen
Steinen bedeckten Pfad ist nur im Stillstand möglich, aber
es wird immer kälter und ungemütlicher und so bleiben
wir immer in Bewegung.
Ein lautes Pfeifen schrillt durch den aufgezogenen Nebel und wie
ein Geisterzug tauchen plötzlich die Lampen der Brockenbahn
auf und rumpeln an uns vorbei. Die angehängten Wagons sind
hell erleuchtet sehen warm und gemütlich aus, in meinem Hinterkopf
assoziiere ich das irgendwie mit Weihnachten, aber so schnell
der Gedanke gekommen ist, so schnell ist er auch wieder verflogen.
Ebenso wie der Zug, der uns wieder in der Dämmerung alleine
lässt.
Endlich erreichen wir die Abzweigung zur Brockenstraße.
Ein kurzer Anstieg, bekannte Gesichter, Ulf feuert uns noch einmal
an und warnt uns vor dem Wind. Es wird immer stürmischer,
ich binde die Kapuze meiner Regenjacke noch enger und bedaure
die anderen zwei, die nur mit Mütze bzw. Stirnband unterwegs
sind. Der Wind peitscht uns Eiskristalle entgegen und zerrt an
den Jacken. Vorn übergebeugt kämpfen wir uns nebeneinander
gegen den Wind voran. Sinnvoller währe es hintereinander
zu gehen, aber so haben wir noch mehr das Gefühl gemeinsam
anzukommen. Die ersten Lichter des Bahnhofs kommen in Sicht, eine
Neonreklame über einer Tür, die Baude am Bahnhof, alles
dunkel, wir müssen noch weiter. Ein Stück höher
schimmert Licht aus einer Tür, ein weißes Bettlaken
mit der Aufschrift Ziel zeigt uns, dass wir richtig sind. In der
Tür erwartet uns der Veranstalter, umarmt und beglückt
wünscht uns. Wir sind uns nicht ganz einig über die
Zeit, aber während wir uns noch gratulieren kommt auch unser
Nachzügler Markus und es werden 11h 35 min für uns notiert.
Die anderen drei wollen unbedingt ins warme, aber ich kenne mich,
wenn ich einmal im Ziel bin bringen mich keine zehn Pferde wieder
auf die Strecke, also motiviere ich sie noch einmal mit nach draußen
zu kommen um ein Foto zu machen. Wenige Meter entfernt heult der
Wind um den Brockenstein. Jetzt ist es richtig dunkel. Die Sanitäterin
die uns netter weise begleitet macht die Fotos nur auf Zuruf,
denn im Schneetreiben ist fast nichts mehr zu sehen.
Der Sturm treibt uns zurück ins Warme. Aufgereiht liegen
dort unsere Beutel mit den Wechselsachen und es sind noch einige
da. Auf der ersten Etage treffen wir auch Dagmar und Bernd. Bernd
war eine halbe Stunde er da als wir, Dagmar musste leider mit
Magenproblemen nach 45km aussteigen, hat es sich aber nicht nehmen
lassen mit dem Zug zum Ziel zu kommen. Ich rufe kurz Alex an,
die sich schon unterwegs besorgt nach meinem Befinden erkundigt
hatte, und pelle mich langsam aus den nassen Sachen.
Die Dusche ist herrlich, eine Kontrolle ergibt keine nennenswerten
Blessuren, von den, allerdings wenigen, Blasen an den Füßen
mal abgesehen. Die ersten Erfahrungen werden ausgetauscht und
der nächste Transport bringt uns runter nach Schierke zum
Abendessen. Auf dem Weg dorthin passieren wir die Brockenstraße,
im Licht der Scheinwerfer tauchen immer wieder Läufer auf,
ich bin froh angekommen zu sein und freue mich auf ein herzhaftes
Abendessen. Irgendwo da draußen sind noch Yogi, Georg und
die anderen unterwegs.
Wir haben schon gegessen, als sie später im Gasthaus ankommen.
Ein Bus bringt uns zum Start und meinem Auto zurück. Die
Nacht verbringen wir wieder bei Ulf, vorher sitzen wir jedoch
noch lange alle zusammen in seiner Küche und erzählen
Anekdoten, und nach einem ausgiebigen und langen Frühstück
geht es am nächsten Morgen wieder Richtung Heimat.
Das einzige was bei diesem Lauf gefehlt hat, war die Aussicht
vom Brocken, alles andere war klasse und beim nächsten mal
werde ich vielleicht ein wenig weniger Klamotten durch den Harz
schleppen, aber wer weiß was nächstes Jahr ist........
zurück zur Startseite