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2006 - Mein erster Rennsteiglauf

Geschrieben Mai 2006

Einfach zurück zum Auto laufen, haben wir uns gedacht. Beim Rennsteiglauf geht das nämlich. Wir haben den Wagen um zwei Uhr morgens am Ziel in Schmiedefeld auf der dafür vorgesehen Wiese geparkt und dabei gleich den Unterschied zu allen anderen Landschafts-Läufen gemerkt. Der Rennsteiglauf ist eine Großveranstaltung! Am Ziel waren nicht nur etliche Zelte etc. aufgebaut, nein auch an der Zufahrt zur Park-Wiese standen mehrere Helfer und haben uns einen Platz zugewiesen, um zwei Uhr früh, wie gesagt. Wir haben dann unseren verspäteten Mitternachts-Imbiss mit dem vorgezogenen Frühstück zusammen gelegt und uns dann umgezogen. Es folgen 10min Fußmarsch zu einem der Busse, die fast pünktlich um 3:30 vom Ziel zum Start gefahren sind.

Morgens kurz nach fünf in Deutschland: Party-Stimmung in Eisenach! Auf dem Marktplatz sind die Lautsprecher aufgedreht und man könnte an ein Open-Air-Konzert denken, während wir die Startunterlagen abgeholt haben. Ich entscheide mich für Kurz-Kurz und gebe meine lange und warme Laufhose im Beutel ab. Die Stimmung ist allgemein herrlich, aber so richtig bin ich noch nicht dabei, denn der fehlende Schlaf macht mir jetzt schon zu schaffen. Aber noch halten die Endorphine.

Mit gut 2000 anderen Startern geht es auf die Strecke. Bald verlassen wir Eisenach, es ist blauer Himmel und leichter Frühtau auf den Gräsern. Ich habe Prbleme, mein eigenes Tempo zu finden, weil ich so viele andere Läufer gar nicht mehr gewohnt bin. Außerdem stören mich wahre Galerien von Pinklern, die teilweise unmittelbar am Weg ihr Geschäft verrichten. Ein paar Schritte abseits wäre schon schöner. Die haben wohl Blasenschwäche. Hicks. Was war das? Ich bekomme leichten Schluckauf. Naja, denke ich, das wird schon werden. Nach drei km wird der ständige Schluckauf zwar langsam wirklich lästig, ist aber bei km fünf wieder weg. Glück gehabt. Markus ist richtig gut drauf und kann sich schon bald von mir absetzten. Das müssen die Glückhormone sein, denn er ist am Vortag stolzer Papa geworden. Die Wege sind meistens breite Forstwege, im Läuferjargon auch Waldautobahn genannt, und leicht zu laufen, wenn es nicht grade bergauf geht. Das ist allerdings im ersten Teil des Rennens ziemlich oft der Fall. So richtig komme ich immer noch nicht ins Rennen. Irgendwie fehlt mir noch der Rhythmus für diese Strecke, kann ich die Musik noch nicht fühlen.


Ab km 20 ziehe ich mir meine leichte Laufjacke über, weil es langsam frischer wird. Vor uns sehe ich immer dunklere Wolken am Himmel und der Wind legt ständig zu. Wir nähern uns dem Großen Inselberg, einer der vier Berge über 900Hm, die wir überqueren werden. Das erste Stück von dort runter ist echt fieß: sehr steiler Asphalt, teilweise kommt er mir fast Treppensteil vor und voller nassem Laub: das geht auf die Knochen! Vor allem auf die vom Markus, den ich hier zum ersten mal einhole.

Etwa alle fünf Km gibt es eine Getränke-Stelle und an etwa jeder zweiten davon gib's auch was zu futtern. Nur mein Magen will heute einfach nicht so recht. Immer wenn ich was esse, bekomme ich wieder diesen gemeinen Schluckauf. Mit jedem Hicks tut es ein bischen mehr weh, zieht meinen ganzen Bauch zusammen und nimmt mir die Luft zum Laufen. Ich verzichte also auf's Essen und gehe einfach davon aus, daß ich genug Energie an Bord habe, um auch so hier durch zu kommen.

Es wird immer kühler, fängt an immer stärker zu regnen und der Wind nimmt bedrohliche Stärken an. Mir tun vor allem die Helfer leid, die hier seit Stunden in der Kälte stehen und frieren. Später höre ich in den Nachrichten von dem Orkan, der über Deutschland gezogen ist. Von vollgelaufenen Kellern in Werningerode, von einem eingestürzten Haus in Sachsen, von umgeknickten Bäumen überall. Ja es war verdammt windig an diesem Tag auf den Höhen des Thüringer Waldes.

Alle fünf Km kommt eine unübersehbare KM-Marke und ich fange schon bei Km 30 an, diese herbei zu sehnen Es läuft einfach nicht rund heute. Dieses Gefühl des leichten Gleitens, des durch den Wald Schwebens will sich einfach nicht einstellen. Ich denke immer wieder an die Nacht in Dodentocht und fühle mich einsam. Genau wie damals sind auch jetzt wieder viele Wanderer unterwegs, die bergauf genauso schnell wie ich sind. Sobald die Strecke eben wird, oder sogar bergab führt, kann ich zwar immer überholen und davon ziehen, aber auch das fällt mir heute schwerer als es sollte. Ich bin müde und mir ist kalt.


Markus hat vom Sani eine Vereisung und eine Tablette bekommen und überholt mich alle paar km an den langen Steigungen, er marschiert heute unheimlich stark. Ich glaube, wir waren im ganzen Rennen nie weiter als einen km auseinander, auch wenn wir uns nur alle halbe Stunde mal einige Minuten getroffen haben. Danach änderte sich die Strecke immer wieder und der eine oder andere von uns konnte seine jeweilige Stärke ausspielen.

Ab der Halbzeit bei Km 37,5 an der Ebertswiese finde ich für einige Zeit endlich in den richtigen Tritt und kann den Lauf genießen. Immer wieder rufe ich mir den Satz von Anke Drescher in den Sinn: Die zweite Hälfte ist vom Kopf her leichter: dann geht's nach hause!. Ich stelle mir einfach vor zum Auto zu laufen.

Der Wind rüttelt gewaltig an den Bäumen und der Regen schlägt mir auf den baumfreien Passagen waagerecht ins Gesicht. Ich zucke zusammen, als einer Läuferin wenige Meter vor mir mit einem lauten Knall die Regenjacke vom Sturm zerrissen wird. Glücklicherweise liegt die Strecke meistens etwas geschützt im Wald, so daß ich dem Wetter nicht ganz so ausgesetzt bin. Die Strecke ist auch läuferisch deutlich leichter als z.B. die Harzquerung vor drei Wochen. Die Wege bleiben breit und angenehm zu laufen und kleine Trampelpfade oder Klettereien über umgefallene Bäume bleiben uns heuer erspart.

Bei Km 55 am Grenzadler fällt meine Lauflust wieder ganz tief in den Keller. Ich spüre bleierne Müdigkeit in allen Gliedern und laufe grade in einen dicken Hungerast rein. Ab jetzt rächt es sich, daß ich seit gut einer Marathon-Distanz nichts mehr gegessen habe und auch erst im Ziel wieder essen will. Trotzdem laufe ich weiter. Heute ist nicht Dodentocht, ich will jetzt und hier nicht aufgeben! Außerdem ist es noch Tag, wenn auch trübe und verregnet, und nicht wie damals eine scheinbar ewige Nacht. Nein, heute werde ich weiter laufen. Ich will das, ich kann das und ich schaffe das. Immer wieder sage ich diesen Satz zu mir selber. Ich rechne jetzt die verbleibenden Km runter und stelle mir immer die dazu gehörige Trainingsrunde zu hause vor. Nur noch 14km, das ist die kleine Runde, ganz easy! motiviere ich mich selbst.


Ich bin inzwischen bis auf die Haut nass, meine Finger sind eiskalt und schon ganz faltig und in meinen Schuhen schwappt das Wasser bei jedem Schritt. Aber irgendwie geht es einfach weiter. Sogar ein knöcheltief verschlammter Waldweg mit wahllos eingestreuten großen Pflastersteinen bei Km 65 ist irgendwann zu Ende. Wenig später treffe ich Markus am Fuß eines langen Gefälles. Die Wirkung der Schmerztablette hat aufgehört, und sein Außenband macht ihm große Probleme. Ich dagegen habe für heute die Schnauze voll. Ich habe genug vom Regen, Wind und Kälte und will einfach nur noch in's Warme.

Laufen, weiter, immer weiter. Jetzt endlich spüre ich, daß meine Kraft bis zum Ziel reichen wird und drehe das Ventil eine Umdrehung weiter auf. Km 70, ich könnte das Schild knutschen und sporne mich noch mal an. Nur noch eine Runde um's Baggerloch, komm Junge, eine Runde um's Baggerloch!

Endlich, endlich kommt das ersehnt Ziel in Sicht. In mir zieht sich alles zusammen und ich heule vor Erleichterung. Sieht bei dem Sauwetter ehe keiner und wenn wäre es mir auch egal. Ich bekomme meine Medallie umgehängt und bleibe ein paar Minuten erschöpft am Zaun stehen. Ich habe fertig, fix und fertig. So hart habe ich mir noch kein Finish erkämpfen müssen. Und das gilt auch für Markus, der gleich nach mir eintrifft.


Fazit: Der Rennsteig ist schön, sehr schön, aber lang und anstrengend. Vor allem bei Orkan. Außerdem verlängert Hunger die Strecke doch spürbar.



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